Trainingseinheit 6.1.
Ethische und soziale Aspekte der Nanotechnologie vs. COVID 19
Autoren & Zugehörigkeit: Rainer Paslack & Jürgen W. Simon (SOKO-Institut, Deutschland)
Bildungsziele: Aus dieser Trainingseinheit kann der Leser etwas über die Vielfalt der ethischen Fragen lernen, die mit der Anwendung von Nanotechnologietechniken bei der Entwicklung der neuartigen mRNA-Impfstoffe verbunden sind. Ziel ist es, die Studierenden für diese ethischen Fragen zu sensibilisieren, damit sie die Bedeutung von mRNA-Impfstoffen angemessen einschätzen können: sowohl im Hinblick auf ihren Nutzen und ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit als auch im Hinblick auf die sich daraus ergebenden sozial- und umweltethischen Fragen einerseits bei der Durchführung großflächiger Impfkampagnen und andererseits bei der Bewertung gentechnischer Verfahren.
Zusammenfassung
Die Methodik der Nanomedizin stellt die vielleicht wichtigste „Schlüsseltechnologie“ der Zukunft dar: Kein anderes Feld wird von so vielen Hoffnungen begleitet und wird vergleichbare gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen wie die zu erwartenden Entwicklungen in der Nanomedizin. Und in diesem Zusammenhang wird sicherlich der Einsatz von RNA-Technologien im therapeutischen, diagnostischen und präventiven (immunologischen) Bereich eine wesentliche Rolle spielen (sei es in Form von mRNA, cRNA oder auch „freier RNA“). Der Einsatz von mRNA-Impfstoffen ist nur der Auftakt zu dieser Entwicklung. Während die ethische Problematik hier noch relativ einfach ist (zumal reine Sicherheitsrisiken nur empirisch zu klären sind und daher nicht in den Fokus der Bioethik fallen), wird sich der Kreis der (nano-)ethischen Fragen enorm erweitern, sobald die RNA-Technologie dies getan hat auch in anderen Bereichen der gentechnikbasierten Nanomedizin Fuß gefasst.
Schlüsselwörter/Phrasen: Bioethik, Nanoethik, Technikfolgenabschätzung, Vorsorgeprinzip, Gesellschaftliche Akzeptanz, Sicherheit von mRNA-Impfstoffen, Datenschutz.
1. Einführung: Nanotechnologie und „Nanoethik“
Nanotechnologische Verfahren und Produkte spielen – weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit1 – seit vielen Jahren eine erhebliche Rolle. Dies gilt auch für den Bereich der Medizin, in dem immer mehr vornehmlich gentechnisch hergestellte Produkte (z.B. über gentechnisch veränderte Bakterien gewonnenes Humaninsulin) in Diagnostik und Therapie zum Einsatz kommen. Für die sogenannte „somatische Gentherapie“ ist dies sogar unabdingbar, da hier therapeutisch wirksame Gensequenzen die Fehlfunktion „kranker“ Gene beispielsweise mit Hilfe von Gen-Shuttles (meist vermehrungsunfähig gemachte Viren) kompensieren sollen kodiert für lebenswichtige Proteine, die der erkrankte Organismus nicht oder nicht in ausreichender Menge selbst herstellen kann. Dabei werden Entitäten im Nanomaßstab sogar doppelt genutzt: einerseits in Form der „gesunden“ Gensequenz und andererseits durch den Einsatz von viralen Transfersystemen (Vektoren).
Doch abgesehen von solchen oft eher „exotischen“ Anwendungsgebieten ist der Öffentlichkeit die Bedeutung der Nanotechnologie (und hier insbesondere mit den Mitteln der Gentechnik) erst durch die Entwicklung einer völlig neuen Klasse von Impfstoffen bewusst geworden: nämlich durch die mRNA-Impfstoff zur Bekämpfung der Covid-19- oder SARS-CoV2-Pandemie. Bisher waren gentechnische Produkte vor allem im Bereich der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion ins Blickfeld gerückt und dort wegen möglicher Umwelt- und Gesundheitsrisiken teilweise sehr scharf kritisiert worden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die innovativen mRNA-Impfstoffe von vielen Menschen – zumindest anfangs – mit großem Misstrauen betrachtet wurden, da gentechnische Produkte keinen guten Ruf genießen. Zudem war (und ist) wenig über die möglichen Nebenwirkungen dieser Impfstoffe bekannt, da zu Beginn der Impfkampagnen keine klinischen Langzeitstudien durchgeführt wurden. Erst als sich im Zuge der Massenimpfkampagnen nach und nach die Wirksamkeit und relative Sicherheit des mRNA-Impfstoffs abzeichnete, verbesserte sich auch die öffentliche Akzeptanz dieses neuen Verfahrens. Und womöglich trägt der Erfolg der neuen Impfstoffe dazu bei, die allgemeine Wahrnehmung und Akzeptanz der Gentechnik zu verbessern, sodass ihr auch in anderen (nicht- medizinischen) Anwendungsbereichen mehr als bisher vertraut werden könnte.2 Dennoch sind noch lange nicht alle „kritischen“ Fragen im Zusammenhang mit der sogenannten „Nanomedizin“ auf Basis der Gentechnik geklärt, insbesondere nicht alle ethischen Fragen. Und die Debatte um die Gentechnik wird Bioethiker und Nanoethiker noch lange beschäftigen.
Der anhaltende Klärungsbedarf hat auch damit zu tun, dass Nanotechnologien im mikroskopischen Maßstab angewendet werden, sich also der unmittelbaren Sichtbarkeit entziehen und darüber hinaus in das hochkomplexe System von Zellen und Organismen eingreifen, dessen Strukturen und Mechanismen es ebenfalls sind mikroskopisch klein und noch lange nicht im Detail verstanden. Vor allem die Proteomik, die das dynamische Verhalten von Proteinen beschreibt, die von Genen innerhalb der Zelle exprimiert werden, steckt noch in den Kinderschuhen. Daher weiß niemand genau, ob ein DNA- oder RNA-Molekül, wenn es in einen Organismus eingebracht wird, wirklich nur die gewünschte Wirkung (wenn überhaupt) hat oder ob es auch nachteilige (unbeabsichtigte) Folgen haben kann. Außerhalb des Labors mit seinen sicheren „Containment“-Bedingungen, nämlich direkt am lebenden Menschen getestet (wie im Fall der mRNA-Vakzinierung), gleicht eine klinische oder gar alltagsmedizinische Anwendung von gentechnisch hergestellten Arzneimitteln einem „echten Experiment“ mit der Gesellschaft [25]. Solche realen Experimente kennt man sonst nur vom Bau innovativer Kernkraftwerke oder einzigartiger Bauwerke (z.B. Brücken, Deponien oder Flughäfen), deren Standsicherheit und Eigendynamik unter Laborbedingungen oft kaum oder gar nicht simuliert werden können.
Grundsätzlich ist hier also immer äußerste Vorsicht geboten: Angesichts der schrecklichen, oft tödlichen Auswirkungen der Pandemie kam es aber bereits zu einer sehr raschen (teilweise über „Notzulassungen“) flächendeckenden Anwendung des innovativen Impfstoffs um dadurch Schlimmeres zu verhindern. Doch obwohl die Studienlage insgesamt sehr unsicher war (insbesondere da noch keine Langzeitdaten vorlagen), ging der Zulassung des neuen Impfstoffes selbstverständlich eine ausführliche Bewertung durch die zuständigen Institutionen und Gremien (u.a. nationale Ethikkommissionen) voraus, bei dem vor allem auch ethische Aspekte berücksichtigt wurden: Insbesondere war abzuwägen, ob es angesichts der ernsten Pandemielage zulässig sei, die Durchführung klinischer Studien zu verkürzen. Es kann jedoch nicht gesagt werden, dass die Genehmigung leichtfertig oder völlig „blind“ erteilt wurde. Insgesamt ist der wissenschaftlichen Gemeinschaft aus Immunologen, Epidemiologen, Infektiologen und Virologen sowie den politischen Entscheidungsträgern ein erhebliches ethisches Bewusstsein zu attestieren. Und aus heutiger Sicht kann der Einsatz des mRNA-Impfstoffs als großer Erfolg gewertet werden – und als Durchbruch für die Nanomedizin insgesamt.
In welchem Umfang operieren Nanotechnologien und welchen Zwecken dienen sie? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir unseren Blick weiten und das gesamte Feld der nanotechnologischen Entwicklungen betrachten. Generell kann man sagen, dass Nanotechnologien Strukturen beschreiben, die 80.000 mal kleiner sind als der Durchmesser eines menschlichen Haares (1 Nanometer = 10-9 Meter). Allerdings unterscheiden sich die Einstufungen von Materialien als Nanomaterialien häufig, wenn beispielsweise die britische Regierung eine Größe von bis zu 200 Nanometern annimmt, während die USA eine Größe von bis zu 1.000 Nanometern zulassen [18]. In jedem Fall werden diese Technologien es ermöglichen, grundlegende Zusammenhänge auf molekularer und atomarer Ebene zu erforschen und neue Materialien mit vielversprechenden Eigenschaften zu entwickeln. Nanotechnologien gelten daher als Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts, die unsere „Eintrittskarten“ in die Zukunft sind [16].
Im Folgenden konzentrieren wir uns wieder stärker auf den Bereich der medizinisch bedeutsamen Nanotechnologie. Unter den zahlreichen vielversprechenden Anwendungen der Nanotechnologien nimmt die Medizin eine Sonderstellung ein, da mit ihr besonders hohe Erwartungen und Hoffnungen verbunden sind. Neue Krebstherapien werden bereits in klinischen Studien getestet3 und innovative Nano-Transportsysteme für Medikamente ermöglichen eine effizientere Behandlung mit weniger Wirkstoffen. Unerwünschte Nebenwirkungen sollten somit reduziert werden. Erprobt werden miniaturisierte mobile Diagnoseeinheiten für Schnelltests in Arztpraxen und bildgebende Verfahren zur für Patienten weniger belastenden Krankheitsdiagnostik. Und innovative Oberflächenbeschichtungen für Implantate oder neue Materialien in der Zahntechnik könnten helfen, Verträglichkeit und Haltbarkeit deutlich zu verbessern und damit Kosten zu senken.
Dieser kleine Auszug aus der Bandbreite der Anwendungen in der Medizin verdeutlicht das große Potenzial der Nanotechnologien.4Nicht wenige Beobachter sprechen hier sogar von einem „Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen“. In der EU wurden im 7. Forschungsrahmenprogramm für den Zeitraum 2007-2013 rund 100 Millionen Euro für Nanomedizin-Projekte bereitgestellt. Angesichts des Erfolgs von mRNA-Vakzinen dürfte das Fördervolumen in Zukunft noch dramatischer steigen. Auch in den USA haben das Project on Emerging Nanotechnologies und das National Cancer Institute [24] umfassende Förderprogramme für die Anwendung von Nanotechnologien entwickelt. Die nationale und internationale Politik setzt daher auf Forschungs- und Standortförderung im Bereich der Nanomedizin.
2. „Nanoethik“ als neue bioethische Teildisziplin
Bei all dem geht es nicht nur um die Förderung von Grundlagenforschung und Produktentwicklung, denn die EU verlangt in ihrem neuen Verhaltenskodex [12], dass alle Forschungsprojekte mögliche Risiken berücksichtigen und in soziale und ethische Fragen eingebettet sein müssen. Denn die Möglichkeit, die Grenzen aktueller Therapieformen zu überschreiten, wirft gleichzeitig die Frage nach neuen Grenzen auf. Und damit kommt ein spezielles Anwendungsgebiet der Ethik (oder Praktischen Philosophie) ins Spiel, das allgemein als „Bioethik“ bezeichnet wird und selbst viele Teilgebiete hat.
Im Zusammenhang mit der Entwicklung nanotechnologischer Verfahren hat sich innerhalb der Bioethik ein neues Forschungs- und Reflexionsfeld etabliert: die sogenannte „ Nanoethik “. In diesem Bereich geht es im Wesentlichen darum, die Wirkungen einer neuen Nanotechnologie unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu beobachten und ihre Ergebnisse im Hinblick auf das Wohl der Gesellschaft zu bewerten. Im Mittelpunkt der nanoethischen Expertise steht somit das „Gemeinwohlinteresse“ im Sinne der Verbesserung der Lebensqualität der Gemeinschaft.
Um die Nanoethik besser einordnen zu können, ist es zunächst notwendig, die Ziele und Aufgaben der Bioethik zu verstehen. Denn ebenso wie die Nanoethik ein Teilgebiet der Bioethik darstellt, kann die Bioethik ihrerseits als Teilgebiet der Technikfolgenabschätzung (TA) im Bereich der Anwendung biotechnologischer Verfahren verstanden werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn TA im Zusammenhang mit der Anwendung gentechnischer Verfahren in biomedizinischen, lebensmitteltechnologischen oder landwirtschaftlichen Anwendungsgebieten steht. Der Geltungsbereich der TA umfasst dabei nicht nur ethische Fragen im engeren Sinne, sondern auch Fragen der Zuverlässigkeit und Sicherheit sowie soziale und politische Aspekte, indem beispielsweise gefragt wird: „Sind die gesellschaftlichen Auswirkungen einer neuen Technologie politisch? und gesellschaftsfähig?“ Zum Beispiel, wenn es eines Tages möglich sein sollte, mit Hilfe der Gentechnik das menschliche Leben weit über die normale Lebensdauer hinaus zu verlängern. Wäre das überhaupt wünschenswert? Begeben wir uns nicht auf eine grundsätzlich „schiefe Bahn“, die verheerende Folgen für die Zukunft der Gesellschaft haben könnte? Und was würde es für unser Menschenbild bedeuten, wenn wir alle Erbkrankheiten mittels Gentechnik ausrotten oder das Erbgut des Menschen beliebig gestalten oder optimieren könnten?
Mit anderen Worten umfasst der Bereich der Bioethik oder bioethisch sensiblen TA alle ethischen, rechtlichen und sozialen Implikationen (abgekürzt ELSI), die sich aus der Anwendung biotechnologischer Verfahren ergeben. Und nur durch ihre Verortung in den Kontext der breiteren ELSI-Themen der TA können die Fragen der Bioethik überhaupt angemessen adressiert werden, so dass die ethische Reflexion nicht im „Vakuum“, dh losgelöst von anderen Sachfragen stattfindet. So gibt es zwar grundlegende ethische Prinzipien, die sich bei jeder Anwendung von Technik ergeben, aber deren sinnvolle Anwendung auf bestimmte Fachgebiete (z.B. Nanomedizin) sollte nie losgelöst von den Besonderheiten des jeweiligen Technikfeldes erfolgen.
Ziel der Bioethik bzw. TA ist es jedoch nicht, neue biotechnologische Entwicklungen zu behindern oder gar zu verhindern, nur weil sie neuartig und hinsichtlich ihres Gefahrenpotentials unklar sind, sondern als eine Art „Frühwarnsystem“ zu dienen, das rechtzeitig auf sich aufmerksam macht zu Fehlentwicklungen oder ethisch und sozial bedenklichen Anwendungen neuer biotechnologischer Verfahren. Daher ist es wichtig, bioethische Überlegungen möglichst von Anfang an in die Erforschung und Entwicklung neuartiger Biotechnologien (im Sinne einer bereits in den Forschungsprozess eingebundenen Begleitforschung) einzubeziehen. Dies verhindert nicht nur ethisch bedenkliche Entwicklungen, sondern vermeidet auch unnötige Kosten und schützt das öffentliche Ansehen der Biotechnologie. Ideal wäre es jedenfalls, wenn die ethische Reflexion „ex ante“ und nicht nur „ex post“ zur Technikgestaltung beitragen würde [17]. Dabei müsste sich die ethische Analyse und Bewertung primär auf (1.) die Ziele und Zwecke der technischen Innovation, (2.) die Instrumente und Mittel (z. B. Tier- oder Feldversuche) und (3.) die unbeabsichtigte Seite konzentrieren Wirkungen (d.h. Ermittlung des Risikoprofils z.B. hinsichtlich möglicher Toxizität und Einhaltung des Vorsorgeprinzips bei Unwissenheit).
3. Warum brauchen wir Ethik angesichts der Einführung neuer Technologien?
Jeder Ethik liegt immer ein bestimmtes Wertesystem zugrunde. Ohne Bezugnahme auf die für eine Gesellschaft maßgeblichen Wertbestimmungen und Ideale könnten keine Handlungsentscheidungen getroffen werden, die vor anderen Personen zu rechtfertigen wären. Jede Form verantwortlichen Handelns findet immer in einem Horizont legitimierter Wertesysteme statt, die als Argumente für eine bestimmte Entscheidung herangezogen werden können. Viele dieser Werte haben Eingang in gesetzliche Regelungen (Gesetze und Verordnungen) gefunden, so dass sie den Gerichten als normative Kriterien für die Beurteilung von Rechtsstreitigkeiten oder vor sie gebrachten Ansprüchen dienen. In der westlichen Kultur ist es vor allem eine humanistische Ethik, oft verbunden mit christlichen Werten, die als Grundlage für die Entscheidungsfindung und -begründung dient und sich beispielsweise in den allgemeinen Menschenrechten und in demokratischen Freiheitsrechten (als Rechte der Verteidigung gegen den Staat).
Auf der Grundlage des Wertesystems fragt die Ethik, was der Mensch in einer bestimmten Situation tun soll oder darf. Dabei kann es um die Einhaltung bestimmter grundlegender Wertprinzipien gehen, die bedingungslos (ausnahmslos) eingehalten werden müssen (somit sind nach „deontologischer Ethik“ nicht einmal Notlügen erlaubt), oder es geht um mögliche unerwünschte Folgen eines bestimmten Verhalten (daher versucht die „konsequenzialistische Ethik“, die potenziellen Auswirkungen von Handlungen abzuschätzen). Ethik dient dabei in erster Linie der Lösung von Wertekonflikten (was jedoch nicht immer gelingt oder möglich ist) durch eine rationale Abwägung der Argumente für oder gegen eine bestimmte Handlungsentscheidung. Ethik schließlich ist jener Bereich, in dem die oft nur unbewusst gültigen Wertvorstellungen explizit gemacht werden , damit die Etablierung eines Wertemaßstabs (oder Wertekanons) möglich wird, an dem sich Menschen orientieren können. Ethik kann als „Einstellungsethik“ zur Durchsetzung „ideologischer“ Werthaltungen dienen, in denen ein bestimmtes Menschenbild oder auch ein gesellschaftliches Ideal (eine „Utopie“) zum Ausdruck kommt, oder sie kann als „Verantwortungsethik“ den Versuch unternehmen. den empirischen Besonderheiten der jeweiligen Handlungssituation gerecht zu werden, indem alle Umstände und möglichen Folgen einer Bewertung unterzogen werden. So oder so geht es bei der Ethik immer darum, Fragen der Gerechtigkeit zu beantworten (z. B. nach der gerechten Verteilung knapper Güter oder Chancen und Belohnungen) und mögliche Schäden (z. B. an Leib und Leben) oder eine Einschränkung von Freiheiten durch Abwägen unterschiedlicher Interessen zu vermeiden, rechtlich Ansprüche und Erwartungen gegeneinander.
Besonders deutlich wurde dies bei der politischen Rechtfertigung sozial einschneidender „Lockdown“-Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie: Das Recht auf wirtschaftliche Betätigungs- und Bewegungsfreiheit stand hier im Konflikt mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und Schutz vor Ansteckung , die zu den höchsten gesetzlichen Rechten und zu den wichtigsten Aufgaben des demokratischen Staates gehören. Obwohl es in den Verfassungen – wie etwa im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland – keine Rangordnung der Grundrechte gibt, musste angesichts der Pandemie entschieden werden, welchem Grundrecht Vorrang eingeräumt werden soll. Am Ende wurde entschieden, dass dem Schutz von Gesundheit und Leben ethische Priorität einzuräumen ist, da schwerkranke oder gar verstorbene Menschen ihre anderen Grundrechte nicht mehr wahrnehmen können. Ein zusätzliches Argument für die Einschränkung anderer bürgerlicher Freiheiten durch die Verhängung eines „Lockdown“ oder gar der Masken- und Quarantänepflicht war, dass dies nicht nur dem Selbstschutz Einzelner, sondern vor allem dem Schutz Dritter, die unbeabsichtigt sein könnten, diene infiziert. Andererseits ist es schwieriger, eine generelle Impfpflicht zu fordern, um Impfverweigerer einbeziehen zu können, da eine solche Pflicht gravierend in das Selbstbestimmungsrecht eingreifen würde. Die ethische Bewertung der Zulässigkeit der neuen mRNA-Impfstoffe muss daher nicht nur die Sicherheitsaspekte dieser Impfstoffe betreffen, sondern muss auch den gesellschaftlichen Kontext berücksichtigen, in dem diese Impfstoffe eingesetzt werden sollen: sei es freiwillig oder aufgrund a gesetzliche Verpflichtung: Wie könnte eine Impfpflicht begründet werden, wenn weder die möglichen Impfrisiken noch die langfristige Schutzwirkung der neuen Impfstoffe bereits hinreichend bekannt sind?
4. Nanoethische Fragestellungen: Akzeptanzprobleme und Sicherheitsrisiken
Wie oben bereits erwähnt, halten immer mehr nanotechnologische Verfahren und deren Produkte Einzug in den medizinischen Alltag. Und das liegt vor allem an der wachsenden Bedeutung der Gentechnik im Bereich der medizinischen Diagnostik 5 und Therapie bzw. Prophylaxe, wobei mRNA-Impfstoffe in den Bereich der Präventivmedizin fallen, sofern sie dazu dienen, den Ausbruch einer Krankheit zu verhindern. Die Entwicklung dieser Impfstoffe wäre jedoch ohne die vorherige molekulargenetische Aufklärung des viralen Erregers nicht möglich gewesen, so dass hier sowohl bei der deskriptiven Sequenzierung der viralen RNA als auch bei der konstruktiven Entwicklung gentechnische Verfahren im Nanomaßstab zum Einsatz kommen die Impfstoffe (zumal auch die immunologisch aktive mRNA-Sequenz in eine Hülle aus Nanolipidpartikeln verpackt werden muss , um sicher und stabil in den menschlichen Organismus gelangen zu können). Es reicht daher nicht aus, die neuen Impfstoffe allein aus bioethischer Sicht zu betrachten: Einerseits muss der gesamte Forschungs- und Produktionsprozess und andererseits die Gesamtheit der Impfwirkungen in die Betrachtung einbezogen werden, Dazu gehören nicht nur die möglichen physiologischen Nebenwirkungen, sondern auch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen einer weit verbreiteten Verwendung der Impfstoffe. Ebenso muss darüber nachgedacht werden, was es bedeuten würde, diese neuen Impfstoffe nicht zu verwenden. Die technikbezogene Ethik muss immer versuchen, einerseits die Risiken und andererseits die Chancen einer innovativen Technologie abzuschätzen und zu bewerten (weshalb sie, wie oben angedeutet, am besten als Teilgebiet der Technikfolgenabschätzung zu betrachten ist).
Als grobe Annäherung können die ethisch relevanten Aspekte, die sich (1) aus der Anwendung von mRNA-Impfstoffen in der medizinischen Praxis in Form einer breit angelegten Impfkampagne ergeben, von den ethisch relevanten Aspekten dieser Impfstoffe, die sich (2) aus der Anwendung ergeben, unterschieden werden gentechnischer Verfahren im nanotechnologischen Größenbereich. Im Folgenden wird auf beide Fragestellungen ausführlich eingegangen, wobei im Rahmen unseres Projektes „Nanocode“ die unter (2) genannten ethischen Aspekte von besonderer Bedeutung sind.
4.1. Medizinische und sozialethische Aspekte der Impfkampagne
In den verschiedenen von der Covid-Pandemie betroffenen Gesellschaften wird immer noch viel diskutiert und sogar gestritten, für wen eine Impfung mit mRNA-Impfstoffen sinnvoll, d.h. vorteilhaft ist. Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass vor allem sogenannte „vulnerable groups“ von einer Impfung mit mRNA-Impfstoffen profitieren können: Dies gilt insbesondere für ältere Menschen, deren Immunsystem oft bereits erheblich geschwächt ist, und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen, so dass ein besonders Bei ihnen ist mit schweren (ggf. sogar tödlichen) Verläufen einer Corona-Erkrankung zu rechnen. Schwangeren hingegen wird aus guten Gründen von einer Impfung abgeraten. Bekannt ist auch, dass bei Menschen mit bestimmten rheumatischen Erkrankungen kein oder allenfalls mäßiger Impferfolg zu erwarten ist. Schließlich ist auch abzuwägen, ob es zu unerwünschten „Kreuzwirkungen“ zwischen dem Impfstoff und Medikamenten kommen kann, die ein Patient aufgrund seiner aktuellen oder chronischen Erkrankungen regelmäßig einnehmen muss. All dies sind jedoch keine ethischen Fragen, sondern rein medizinische oder pharmakologische Fragestellungen, die nur empirisch sowie in Bezug auf den Einzelfall (Anamnese) geklärt werden können. Daher entsprechen die üblichen Anforderungen an die klinische Erprobung jedes neuen Arzneimittels (einschließlich Impfstoffen) dem: Erst wenn der „Kandidat“ alle klinischen Tests auf Wirksamkeit und Sicherheit erfolgreich bestanden hat, nur dann kann er eine patentgeschützte Marktzulassung für sein Arzneimittel erhalten Verwendung in der medizinischen Praxis. Und dabei kann es durchaus vorkommen, dass ein neues Medikament nur eingeschränkt zugelassen wird, wenn es nicht für jeden möglichen Patienten wirksam oder sicher ist. Aus diesem Grund müssen klinische Prüfungen immer an unterschiedlichen Probandengruppen durchgeführt werden: z.B. an Frauen und Männern, an Jugendlichen und Kindern, an Schwangeren und Diabetikern etc., um alle möglichen Risiken abschätzen zu können. In der Regel ziehen sich solche klinischen Studien (selbst durchgeführt an Versuchstieren in der ersten präklinischen Phase) über viele Jahre hin, wobei die meisten „Kandidaten“ scheitern und abgebrochen werden müssen, so dass sie nicht einmal die Marktreife erreichen.
Beim innovativen mRNA-Impfstoff wurde jedoch aufgrund der Dringlichkeit und außerordentlichen Gefahr der Pandemie ein verkürztes klinisches Prüfverfahren gewählt, insbesondere durch Verzicht auf Langzeitstudien, um keine Zeit zu verlieren. Schließlich wurde der Einsatz des Impfstoffs zunächst auf gefährdete Gruppen und Hochbetagte beschränkt, um umfangreiche Erfahrungen (d.h. Daten) zu sammeln, auf deren Grundlage dann weitere Impfempfehlungen für andere Erwachsene ausgesprochen werden könnten. Eine solche Priorisierung oder Differenzierung der Patientenpopulation (aller potenziellen Begünstigten) ist sowohl aus medizinischer als auch aus ethischer Sicht notwendig, um potenzielle Nebenwirkungen zu minimieren. Aber sollen zum Beispiel auch Jugendliche oder gar Kinder geimpft werden? Das Ausmaß der Schutzwirkung einer Impfung bei Kindern und Jugendlichen bzw. die Milde des Covid-Erkrankungsverlaufs ohne eine solche Impfung lässt sich natürlich nur durch empirische Untersuchungen ermitteln. Es handelt sich also nicht um eine ethische Frage. Dementsprechend kann auch nur empirisch festgestellt werden, ob bei Kindern und Jugendlichen die möglichen Nebenwirkungen der Impfung (die Impfsymptome) die möglicherweise schweren Krankheitssymptome im Falle einer Infektion überwiegen. Vielleicht ist es besser, es der „Natur“ des normalerweise robusten Immunsystems von Kindern und Jugendlichen zu überlassen, eine Corona-Infektion selbst zu bewältigen. Andererseits können auch Kinder und Jugendliche Überträger von Covid-19-Viren auf Erwachsene sein, sodass man der Meinung sein könnte, dass die Impfung von Kindern und Jugendlichen zumindest in der Lage ist, die Viruslast so zu senken, dass eine Übertragung erfolgt der Erreger an nicht geimpfte Erwachsene soll deren Risiko, einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden, relevant reduzieren.
Aus ethischer Sicht ist hier anzumerken, dass eine Impfung von Kindern und Jugendlichen, die primär dem Schutz ungeimpfter Erwachsener (und weniger ihrem eigenen Schutz) dient, nur dann zulässig ist, wenn die möglichen schädlichen Nebenwirkungen einer Impfung von Kindern und Jugendlichen nicht stärker ins Gewicht fallen als der gesundheitliche Nutzen, den die Kinder und Jugendlichen selbst aus der Impfung ziehen können. Es darf nicht sein, dass Kinder und Jugendliche unnötigen potenziellen Impfrisiken ausgesetzt werden, nur um ungeimpfte Erwachsene besser vor einer Ansteckung zu schützen. 6Stattdessen könnte argumentiert werden, dass ein Erwachsener, der sich impfen lässt, das Risiko einer Ansteckung und damit auch eines möglicherweise schweren Krankheitsverlaufs eigenverantwortlich tragen muss.
Die Stichhaltigkeit dieses Arguments hängt jedoch davon ab, dass bereits ausreichend empirisch belegt ist, dass die Impfung mit den neuartigen mRNA-Impfstoffen sowohl ausreichend wirksam als auch sicher im Hinblick auf gefährliche Langzeitwirkungen des Impfstoffs ist. Das Problem dabei ist, dass es sich um eine völlig neue Klasse von Impfstoffen handelt, mit der die medizinische Wissenschaft noch keine Erfahrungen sammeln konnte. Es obliegt daher letztlich der klinischen Forschung, nachzuweisen, dass die Schutzwirkung der mRNA-Vakzine hoch ist und (über statistisch nicht signifikante schädliche Impfreaktionen hinaus 7) keine Spätfolgen der Impfung zu erwarten sind ( z . B. dadurch , dass sich die mRNA-Moleküle dauerhaft einlagern könnten auf das menschliche Genom, irgendwann Krebs oder Demenz auslösen, die Fruchtbarkeit verringern oder das Immunsystem nachhaltig schädigen). Bisher sieht es jedoch recht ermutigend aus, dass Forscher sowohl die hohe Wirksamkeit als auch die gesundheitliche Unbedenklichkeit der mRNA-Impfstoffe bestätigen können. Und dazu gehören auch mögliche langfristige Spätfolgen, da noch kein physiologischer Mechanismus entdeckt wurde, der ernsthaft Anlass zur Sorge geben könnte, dass das mRNA-Molekül dem Immunsystem nicht nur als Bauplan für die Produktion des viralen Antigens dient (um dann Antikörper dagegen bilden), könnten aber auch unerwünschte Stoffwechselvorgänge oder zelluläre Gewebeveränderungen anregen. Denn das mRNA-Molekül dringt offenbar weder in den genomischen Zellkern ein, noch verbleibt es längere Zeit im Organismus, bevor es wieder abgebaut wird, dh in seine Nukleinbasen zerfällt und damit unwirksam wird.
Darüber hinaus wird derzeit heftig darüber diskutiert, wie oft und in welchen Abständen eine solche Impfung wiederholt werden sollte, um die Schutzwirkung sowohl zu gewährleisten als auch zu erhöhen8: Auch dies sind Fragen, die nur auf der Grundlage immunologischer Studien und Statistiken beantwortet werden können Auswertungen des Impferfolges. Aus ethischer Sicht kann nur gesagt werden, dass alles getan werden muss, um die Schutzwirkung eines ansonsten harmlosen Impfstoffs so weit wie möglich zu erhöhen. Das gilt auch für die Weiterentwicklung des Impfstoffs: zum Beispiel seine modifizierende Anpassung an neue Virusvarianten.9 .
Wie oben bereits angedeutet, sind Fragen der Wirksamkeit und Sicherheit grundsätzlich keine ethischen, sondern rein wissenschaftliche Fragen. Etwas anders verhält es sich bei der Frage, ob immer das „Vorsorgeprinzip“ gelten soll, indem man darauf besteht, dass die Unbedenklichkeit eines neuen Arzneimittels vorab geprüft wird. Dies ist aber bereits durch das im Arzneimittelrecht detailliert geregelte Erfordernis mehrphasiger klinischer Prüfungen erfüllt. Auf diesen Aspekt wird daher hier nicht näher eingegangen, zumal er im Trainingsmodul „Rechtliche und soziale Aspekte“ behandelt wird. Dort wird auch diskutiert, wer (und in welcher Hinsicht) im Falle eines Impfschadens haftbar gemacht werden soll (der behandelnde Arzt, der Hersteller oder die Gesundheitsbehörden).
„Vorsorge“ betrifft aber auch die Frage, ob größere Vorräte an Impfstoffen angelegt werden sollten und ob sichergestellt werden sollte, dass die Produktion von lebenswichtigen Impfstoffen im nationalen Rahmen abgesichert wird, um einerseits die Impfstoffe überwachen zu können Qualitätssicherung der Stoffe in Eigenregie zu ermöglichen und andererseits das Risiko eines „Abrisses“ der Lieferketten eindämmen zu können. Aus ethischer Sicht gehört zur staatlichen Gesundheitsvorsorge für seine Bevölkerung auch ein gewisses Maß an Autarkie bei der Versorgung mit Medikamenten, sodass es als riskant angesehen werden muss, die Produktion rein ins Ausland (z. B. nach Indien oder China) zu verlagern aus logistischen und wirtschaftlichen Gründen (Kosteneinsparung). Nur im Rahmen einer nationalen und damit relativ autonomen Arzneimittelversorgung können Knappheitssituationen verhindert werden, die Ärzte zu ethisch höchst fragwürdigen „Triage“-Entscheidungen zwingen könnten (wie man es aus der Lazarettmedizin kennt, wo es in Extremsituationen oft sein muss entschieden, bei welchen Verwundeten die knapp gewordenen Medikamente am erfolgversprechendsten eingesetzt werden können und bei welchen nicht, damit sie ihnen vorenthalten werden). Dies betrifft jedoch nicht nur die verfügbare Menge an hochwertigen Arzneimitteln, sondern auch die sonstige Infrastruktur der medizinischen Versorgung: etwa die Zahl der in den Krankenhäusern verfügbaren Intensivbetten oder die Kapazität des medizinischen und pflegerischen Personals, das für den Betrieb benötigt wird Geräte (z. B. Beatmungsgeräte) und zur körperlichen Versorgung von Patienten. Dies sind jedoch allgemeine Fragen der Medizinethik, die die Organisation der medizinischen Versorgung betreffen und daher den Rahmen des ethisch korrekten Einsatzes von mRNA-Impfstoffen sprengen und daher hier nicht weiter erörtert werden müssen.
Ein weiterer Punkt betrifft Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und des Zugangs zu den neuen nanomedizinischen Möglichkeiten: So sei angesichts der anfänglichen Knappheit von mRNA-Impfstoffen nicht zu übersehen, dass finanzstarke Länder diese leichter beschaffen könnten als ärmere Länder. Obwohl die WHO ein bestimmtes Kontingent an Impfstoffen für die „Dritte Welt“ reserviert hatte, erwies sich dieses als völlig unzureichend. Auch die Mehrheit der Hersteller der neuen Impfstoffe weigerte sich aus Profitgründen, den ärmeren Ländern zu erlauben, die Impfstoffe ohne Zahlung von Patentgebühren selbst herzustellen, also eigene Produktionsstätten aufzubauen. Auch dies benachteiligte die Entwicklungsländer erheblich. Generell gab es zwischen den reicheren Ländern zunächst auch einen harten Wettbewerb um den Bezug der seltenen Impfstoffe, was aus ethischer Sicht negativ zu bewerten ist, da auch ein konzertierteres Vorgehen für eine gerechte Verteilung möglich gewesen wäre. Grundsätzlich stellt sich hier die Frage, wie erreicht werden kann, dass kostenintensive Nanotechnologien auch ärmeren Begünstigten zugänglich gemacht werden können, z.B. um eine „Zwei-Klassen-Medizin“ zu verhindern.
Was die Wirksamkeit und Sicherheit mRNA-basierter Impfstoffe betrifft, können ohnehin nur empirische Studien Auskunft darüber geben. Ethik hat in diesem Zusammenhang nur insofern ein Mitspracherecht, als man fragen kann, nach welchen Kriterien der Nutzen einer Impfung zu bewerten ist: Die Verhinderung einer schweren, vielleicht sogar tödlichen Krankheit ist hier sicherlich das entscheidende Kriterium, sofern sie tatsächlich erfüllt ist. Gegen schwere Krankheiten wie früher Pocken und Pest oder heute Zika-Fieber oder Ebola seien die vorhandenen Impfstoffe sicherlich das „Mittel der Wahl“. Es gibt aber auch eine Minderheitsmeinung, dass zu viel und zu voreilig geimpft wird (z.B. gegen die saisonale Grippe), so dass unser „natürliches“ Immunsystem tendenziell überlastet (gestresst) und damit in der Entwicklung seines spontanen „Selbst-Heilung“ gehindert wird. Ausgerechnet die großen Erfolge von Impfkampagnen – insbesondere bei weniger bedrohlichen Krankheiten – könnten sich am Ende als „Pyrrhussiege“ erweisen, da wir uns zu sehr auf die moderne Pharmakologie und Apparatemedizin verlassen und andere dementsprechend vernachlässigen („sanftere“) Wege zur Erhaltung und Steigerung der Gesundheit. Im Fall von Covid-19 scheint jedoch kein Weg an der Impfung vorbei zu führen, zumal es noch keine wirklich wirksamen Therapeutika gibt, sodass einer möglichen Ansteckung mit einiger Gelassenheit begegnet werden könnte. Generell mag es viele Möglichkeiten geben, das angeborene Immunsystem zu stärken (etwa eine gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung und Schlaf sowie eine stressreduzierende Lebensweise), aber gegen eine wirklich schwere Infektionskrankheit hilft wahrscheinlich nur eine passende Impfung Vorauszahlung.
Auf der anderen Seite könnte man gerade im Fall von Corona überlegen, ob von Tieren ausgehende Epidemien und Pandemien nicht auch verhindert werden könnten, indem man die Gelegenheiten einschränkt, aus denen ein Virus (oder ein anderer gefährlicher Erreger: ein Bakterium oder ein Parasit) springen kann Tiere zu Menschen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Covid-19-Erreger immerhin um eine „Zoonose“ (zumindest deutet wenig darauf hin, dass sie ungewollt aus einem chinesischen Labor entwichen ist10), die vermutlich dadurch begünstigt wurde, dass Schuppentiere oder bestimmte Fledermäuse zum Verzehr angeboten wurden auf einem Markt in Wuhan, die hervorragende Wirte für zahlreiche Viren sind, deren Übertragung für den Menschen potenziell gefährlich sein kann. Das heißt: Auch eine Umstellung unserer Ernährungsgewohnheiten kann den Ausbruch schwerer Infektionskrankheiten verhindern. Die Idee ist, dass wir im Austauschbereich von menschlicher Zivilisation und Natur das Übertragungsrisiko so weit wie möglich begrenzen oder zumindest kontrollieren sollten. In der Tat erhöhen beispielsweise der (illegale) Wildtierhandel sowie neue Formen der technologieintensiven Waldbewirtschaftung die Wahrscheinlichkeit des menschlichen Kontakts mit bisher unbekannten Krankheitserregern durch das Eindringen in zuvor weitgehend unberührte Wildnisgebiete. Von besonderem soziologischem Interesse sind darüber hinaus das oft häusliche Zusammenleben mit Nutztieren (z.B. Geflügel) und die oft unzureichenden Hygienestandards vor Ort (z.B. bei der Trinkwasserqualitätskontrolle oder Abfallentsorgung). Generell breiten sich menschliche Siedlungen und der damit verbundene Straßenbau offenbar immer weiter in die Wildnis aus; ebenso wie umgekehrt Wildtiere (ua Vögel und Insekten) zunehmend aus ihren angestammten natürlichen Lebensräumen verdrängt werden und sich in den Siedlungen ansiedeln.
Zur Vermeidung von Zoonosen wird daher das „epidemiologische Management“ der vielfältigen Mensch-Natur-Beziehungen im Grenzgebiet zur Wildnis immer dringlicher. Neben der wissenschaftlichen Überwachung der möglichen Ausbreitung von Wildarten mit zoonotischem Potenzial sind daher auch rechtliche und praktische Maßnahmen erforderlich: z.B. im Bereich Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung, wirtschaftliche Nutzung der Regenwälder, Verbesserung der Hygiene, (naturnahe) Ernährung Produktion und Gesundheitserziehung. Hier trifft medizinische Bioethik auf Umweltethik. Aber das sind alles umfassendere Themen, die gewissermaßen im Vordergrund der mRNA-Strategien gegen die Covid-19-Pandemie stehen: Denn ist eine Pandemie erst einmal ausgebrochen, kommen alle Überlegungen zu präventiven Maßnahmen gegen zoonotische Risiken zu spät, sodass wir müssen Versuchen Sie nun einerseits, die weitere Ausbreitung des Infektionsgeschehens möglichst einzudämmen (z.B. durch das Tragen von Schutzmasken, durch die Verwendung einer Schutzkleidung etc.). (z.B. durch das Tragen von Schutzmasken, Hände- und Oberflächendesinfektion, Lüften von Innenräumen, vorübergehende Quarantäne bis hin zu einem vorübergehenden „Lockdown“) und zweitens durch breit angelegte Impfkampagnen. Und bei letzterem haben wir das Glück, dass die mRNA-Impfstoffe so erstaunlich schnell zur Einsatzreife entwickelt werden konnten, was sicherlich unzählige Leben gerettet hat.
4.2. Nanoethische Aspekte von mRNA-Impfstoffen als gentechnische Produkte
Nachdem wir kurz die allgemeinen medizinischen und sozialethischen Implikationen des praktischen Einsatzes der neuartigen mRNA-Impfstoffe diskutiert haben, werden wir nun die möglichen Probleme betrachten, die sich aus dem gentechnischen Charakter dieser Impfstoffe ergeben könnten: dh aus der Tatsache, dass diese Wirkstoffe sind einerseits das Ergebnis konstruktiver Operationen (sozusagen „RNA-Engineering“) im molekulargenetischen Maßstab; und dass sie andererseits dazu bestimmt sind, in die biologischen Funktionen von Zellen oder in das Immunsystem eines lebenden Organismus (dh des menschlichen Organismus) einzugreifen. im Immunsystem eines Lebewesens (nämlich des menschlichen Organismus). Wie oben bereits erwähnt, wird der Bereich Nanoethik im Rahmen dieser Trainingseinheit auf den Bereich der Humanmedizin beschränkt. Wobei – um das Feld noch weiter einzugrenzen – Nanoethik hauptsächlich (aber nicht nur) mit der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen zu tun haben wird. Tatsächlich kodieren alle „Manipulationen“ von RNA- und DNA-Molekülen, also auch alle Konstruktionen von Gensequenzen (und das mRNA-Molekül schließlich auch für ein spezifisches Spike-Protein auf der Hülle des Covid-19-Virus, also für ein virales Gen) können als nanotechnische Verfahren betrachtet werden. Die Entwicklung mRNA-basierter Impfstoffe ist hier nur ein Sonderfall. Da sich in diesem speziellen Fall aber auch ethische Fragen stellen, die sich insgesamt für gentechnische Verfahren bzw. für die medizinische Anwendung der Produkte dieser Verfahren stellen, ist es sinnvoll, den Fokus der ethischen Reflexion entsprechend zu erweitern, d.h. das gesamte Spektrum der gentechnikbasierte Entwicklungen im Bereich der Humanmedizin in der ethischen Bewertung. Tatsächlich wird sich zeigen, dass auch in diesem speziellen Fall praktisch alle ethischen Fragen auftauchen, die sich im Zusammenhang mit der Gentechnik im Gesundheitsbereich stellen.11 .
Es kann durchaus bestritten werden, dass eine spezielle „Nanoethik“ als Spezialdisziplin notwendig ist, insofern es sich lediglich um eine weitere Anwendung der „Bioethik“ oder „Genethik“ handeln würde und somit die Fragestellungen der Nanobiotechnologie bereits sehr gut bekannt sind andere Kontexte ethischer Reflexion. Allerdings sollte man den Querschnittscharakter ethischer Reflexion nicht verkennen, denn auch inhaltlich völlig andere (Nano-) Technologien stehen oft vor ganz ähnlichen ethischen und gesellschaftlichen Herausforderungen.
Grundsätzlich ist der Einsatz gentechnischer Methoden zur Bekämpfung von (Infektions-)Krankheiten durchaus zu begrüßen. Allerdings gibt es im Zusammenhang mit der gentechnischen Herstellung (Konstruktion) von mRNA-Vakzinen und bei deren Handhabung beim Transfer in den menschlichen Körper nicht nur Sicherheitsbedenken, sondern z.B. auch im Zusammenhang mit der gentechnischen Herstellung (Konstruktion) von mRNA-Impfstoffe und deren Handhabung beim Transfer in den menschlichen Körper stellen sich nicht nur Sicherheitsfragen, sondern auch Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz, insofern die Gentechnik (sowohl als Verfahren als auch hinsichtlich ihrer Produkte) keinen besonders guten Ruf genießt: sie wird oft argumentiert, der Mensch würde in „Gottes Schöpfung“ eingreifen, ja sogar „Gott spielen“, indem er den „Bauplan des Lebens“ verändert (was bei mRNA-Molekülen jedoch kaum der Fall ist, da sie lediglich das Immunsystem des Menschen versorgen System mit Vorlagen für die eigene Aktivität). Auch die Umweltverträglichkeit von gentechnisch hergestellten Arzneimitteln wird mitunter angezweifelt (obwohl z.B. über gentechnisch veränderte Bakterien gewonnenes Humaninsulin von Diabetikern gerne akzeptiert wird). Dem Bau von mRNA-Molekülen zur Bekämpfung schwerer Infektionen ist jedenfalls schwer abzuraten, da deren Vorteile offensichtlich alle Bedenken überwiegen. Man müsste ein grundsätzlicher Technikgegner oder zumindest „ideologisch“ überzeugter Gentechnikfeind sein, um den gesundheitlichen Nutzen gerade dieser Anwendung der Gentechnik nicht einsehen und einschätzen zu können. Bei der landwirtschaftlichen Nutzung von GV-Pflanzen mag dies etwas anders sein, da die Sicherheitslage und die Umweltverträglichkeit unter „Freilandbedingungen“ in letzter Konsequenz noch nicht klar sind; und auch beim reproduktiven Klonen von Nutztieren sowie der „Rekonstruktion“ von Organismen mit Hilfe von „Synthetischer Biologie“ oder „Genome Editing“ sind noch nicht alle Risiken und ethischen Fragen geklärt (wir werden kommen später darauf zurück).
Interessanterweise haben wir es bei den „maßgeschneiderten“ mRNA-Vakzinen eigentlich mit zwei Nanostrukturen zu tun: einerseits mit der mRNA selbst, also dem Wirkstoff, und andererseits mit den Lipid-Nanopartikeln, in die die mRNA eingebettet ist wird „verpackt“ und anschließend in den menschlichen Organismus eingebracht.12 Das nanotechnologische Verfahren findet somit auf zwei unterschiedlichen Konstruktionsebenen statt und bildet somit einen äußerst komplexen Prozess.
Auch wenn die Suche nach Impfstoffen gegen das Corona-Virus in seinen verschiedenen Varianten (sowie deren ethische Bewertung) im Mittelpunkt dieses Trainingsmoduls steht, kann der medizinische Einsatz von maßgeschneiderten mRNA-Hosts mehr als nur Infektionskrankheiten bekämpfen: Es gibt sie berechtigte Hoffnung, dass künstliche mRNA-Produkte auch für innovative Ansätze im Bereich der Gentherapie erfolgreich eingesetzt werden können; oder bei der Behandlung von Krebs sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen.13 Um jedoch mittels mRNA gezielt in das Erbgut erkrankter Zellen eingreifen zu können, bedarf es geeigneter Einfügungsverfahren („Erase and Paste“). Und hier kommt die CRISPR-Cas-Technologie des „Genome Editing“ ins Spiel. Schließlich könnten mRNA-Sequenzen in Zukunft zumindest indirekt auch in der Entwicklung diagnostischer Verfahren (z. B. in der Genomanalyse, beim Nachweis von Tumormarkern etc.) an Bedeutung gewinnen. Daher werden diese Anwendungsbereiche auch nachfolgend adressiert, da eine vollständige Bewertung der mRNA-Nanotechnologie auch aus ethischer Perspektive nur dann erfolgen kann, wenn diese Technik im breiteren Kontext anderer RNA- und DNA-basierter gentechnischer Anwendungen betrachtet wird. Begründet wird diese Erweiterung des Reflexionsrahmens auch damit, dass der RNA-Technologie bald weitere Anwendungsfelder erschließen dürften: etwa in der Krebs- oder Gentherapie, aber auch in der Diagnostik. Und spätestens dann muss auch der Fokus der ethischen Betrachtung erweitert werden, da dann ethische Aspekte relevant werden, die nicht nur den Einsatz dieser Technologie zu Impfzwecken betreffen: Denn erst dann erschließt sich das enorme Potenzial dieser Methode deutlich werden. Da jedoch jede ethische Reflexion über die gesellschaftlichen Implikationen einer neuen Technologie so früh wie möglich erfolgen sollte, ist es sinnvoll, bereits heute zu versuchen, diese Implikationen in den verschiedenen Anwendungsfeldern der RNA-Technologie zu bewerten. Der Vorteil einer „vorausschauend“ betriebenen Nanoethik besteht auch in der Vorbereitung einer „proaktiv“ orientierten Technologiepolitik, indem die Nanoethik frühzeitig auf mögliche Risiken oder Nachteile der neuen Technologie aufmerksam macht.
Jedenfalls werfen die zu erwartenden unterschiedlichen medizinischen Anwendungen der (RNA-basierten) Gentechnik je nach Konstruktionsumfang und Eingriffstiefe in den Organismus bzw. je nach Zielsetzung besondere wissenschaftliche (empirische) und ethische Probleme auf. Die Variation und das Gewicht dieser Probleme hängen zum Beispiel von dem erreichten Konstruktionsniveau durch die Manipulation jener molekularen Strukturen oder Organismen ab, die entweder dazu bestimmt sind, pharmakologisch wertvolle Proteine zu produzieren (z.B. bei der bakteriellen Produktion von Humaninsulin) oder als solche zu dienen „Fähren“ (Vektoren) zum Einschleusen von Therapeutika in den menschlichen Körper. Aber auch genmedizinische Verfahren, die bereits im Nanomaßstab zu rein diagnostischen Zwecken angewendet werden, produzieren Daten, die oft sehr persönlich sind (z.B. genetische Daten, die für eine bestimmte Person charakteristisch sind und diese Person teilweise „genetisch transparent“ machen) und die daher missbraucht werden könnten (z.B. von Versicherungen, wenn die erhobenen Daten aufgrund bestimmter genetischer Dispositionen auf zukünftige Erkrankungen hinweisen; oder auch von staatlichen Stellen, um bestimmte Personen zu identifizieren, obwohl kein Strafverfolgungsbezug besteht). In diesem Fall sind entsprechende datenschutzrechtliche Vorkehrungen zu treffen: z.B. durch geeignete Verfahren zur Anonymisierung oder zumindest Pseudonymisierung der Daten (oder auch durch hohe Zugriffsbarrieren oder durch zeitlich begrenzte Vorhaltung der Daten) . Auch die Nutzung genetischer Daten, beispielsweise für epidemiologische Zwecke, darf nicht ohne die ausdrückliche Einwilligung des Datenspenders erfolgen (eine „Einwilligung nach Aufklärung“) (dies gilt beispielsweise für klinische Gewebesammlungen oder Forschungsbiobanken, in denen genetisch aussagekräftige Gewebeproben gespeichert und ausgewertet werden).
Somit ist ersichtlich, dass die Entwicklung von mRNA-Techniken im breiteren Kontext der Entwicklung molekulargenetischer Werkzeuge betrachtet werden sollte, die alle im Nanomaßstab wirksam sind oder sein werden: sei es
(a) ür diagnostische Zwecke (z.B. in der Genomanalyse zum Nachweis erblicher Krankheitsprädispositionen);
(b) oder zu therapeutischen Zwecken (z.B. bei der Durchführung einer somatischen oder sogar keimbahnbeeinträchtigenden Gentherapie);
(c) oder für immunologische Zwecke (z.B. bei der Konstruktion von mRNA-Sequenzen, die „maßgeschneidert“ sind, um spezifische Krankheitserreger zu bekämpfen);
(d) oder zu biokonstruktiven Zwecken, wenn es darum geht, ganze Organismen (Einzeller) so zu gestalten, dass sie zur Herstellung von diagnostisch oder therapeutisch wirksamen Arzneimitteln verwendet werden können (z.B. mittels „Genome Editing“ im Bereich der „Synthetischen Biologie“, um neue Stoffwechselwege „top down“ in einen gegebenen Organismus einzubauen; daneben wäre aber auch der komplette Neuaufbau eines lebenden Organismus „bottom up“ denkbar, was könnte sogar Nukleinbasen in seiner DNA oder RNA haben, die in der Natur nicht vorkommen).
Leider ist es im begrenzten Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, hier alle relevanten Anwendungsbereiche der Gentechnik in der Medizin darzustellen. Abschließend betrachten wir daher nur die Vektoren, mit deren Hilfe die mRNA-Vakzine in den menschlichen Organismus eingebracht werden. Diese Transportsysteme stellen neben den Impfstoffen selbst die zweite Anwendung nanotechnologischer Verfahren im Rahmen der Bekämpfung von Covid-19 dar.
5. „Nanotransportsysteme“: Funktionen und Risiken
Da der sichere Transport des mRNA-Agens in das menschliche Immunsystem entscheidend für den Impferfolg ist, soll dieser Aspekt zunächst näher betrachtet werden. Es wurde oben bereits erwähnt, dass der mRNA-Wirkstoff in eine Hülle aus Lipid-Nanopartikeln verpackt werden muss, um stabil in das menschliche Immunsystem gelangen zu können, um dort als Matrize (Antigen) für die Produktion dienen zu können von Antikörpern gegen Covid-19. Dies ist jedoch nur ein Beispiel für eine Vielzahl sogenannter „Transportsysteme“ im Nanomaßstab, die ganz unterschiedliche Transportfunktionen übernehmen können.
Nanomaterialien werden im menschlichen Körper auf vielfältige Weise eingesetzt. Auf zwei besonders vielversprechende Anwendungsgebiete wird im Folgenden eingegangen: Zum einen die Gruppe verschiedener Nano-Transportsysteme („Nano-Delivery-Systeme“), die der Verteilung von Wirkstoffen im Körper dienen. Andererseits werden verschiedene metallische Nanopartikel in der Krebstherapie eingesetzt, wo magnetische Wechselfelder für eine Erwärmung und Zerstörung von Tumorzellen sorgen (Hyperthermie-Verfahren). Hier wird nur der erste Fall näher betrachtet.
Nanoskalige Systeme dienen dem Transport von Wirkstoffen im Körper (Drug Delivery). Die Nanomaterialien umschließen den Wirkstoff mit winzigen Schutzhüllen, die dann als verkapselte Systeme oder Micellen bezeichnet werden. Sie ermöglichen es, die Wirkstoffe durch biologische Mimikry [6] so zu schützen oder zu tarnen, dass sie in bestimmte Anwendungsbereiche transportiert werden können. Je nach Struktur können sie biologische Barrieren wie Zellwände, die Magen-Darm-Wand oder die Blut-Hirn-Schranke überwinden [19]. Gerade die Blut-Hirn-Schranke verhinderte bislang einen praxistauglichen pharmazeutischen Ansatz zur wirksamen Behandlung von Krankheiten wie der Alzheimer-Krankheit. Entsprechend groß sind die Hoffnungen, die mit dem Einsatz von Nanomaterialien verbunden sind. Je nach Zielsetzung und gewünschtem Einsatzort erfüllen die Nano-Transportsysteme unterschiedliche Aufgaben. So umhüllen sie zum Beispiel schwer wasser- oder fettlösliche Vitamine und Wirkstoffe [2] und machen sie so für den Körper besser verfügbar.
Andere Verfahren erlauben es, Wirkstoffe zeitlich zu dosieren oder Stoffe, die im Körper zu schnell abgebaut würden, erst am Ort der Anwendung freizusetzen oder über einen sehr langen Zeitraum gleichmäßig zu verteilen. Es gibt eine ganze Reihe von Verkapselungssystemen, z.B. für Kosmetika, für neue pharmazeutische Produkte oder für Kontrastmittel. Viele Systeme verwenden natürliche Materialien, die vom Körper leicht abgebaut werden, ihnen aber durch ihre Nanoform mehr Stabilität verleihen oder vom Körper leichter aufgenommen werden können. Dazu gehören winzige Fetttröpfchen (Nanolipidstrukturen), natürliche Eiweißverbindungen, wie sie aus den Extrakten von Schalentieren (Chitosan) gewonnen werden können, oder Gelatine. Viele Systeme sind der Natur nachempfunden, etwa abbaubare Polylactogluconate (Eiweiß-Zucker-Verbindungen) oder Dendrimere (baumartige Polymerstrukturen), die bei Krebstherapien, Herpes und schwer behandelbaren Pilzerkrankungen eingesetzt werden sollen.
Andere Systeme arbeiten mit Materialien wie Kohlenstoff. Diese bilden nicht abbaubare, nanometergroße fußballähnliche Strukturen (Fullerene) oder winzige Kohlenstoffnanoröhren, in denen die Wirkstoffe transportiert werden können [7, 22]. Ein weiterer Entwicklungsschritt, an dem Forscher arbeiten, sind zielgerichtete Abgabesysteme, die mit spezifischen Rezeptoren für Zelltypen, Viren oder andere Krankheitserreger ausgestattet werden können, um ihren Zielort zu „erkennen“ [30, 13]. Dadurch würde sichergestellt, dass Wirkstoffe am beabsichtigten Wirkort wirken, z.B. an bestimmten Organen wie der Leber oder an bestimmten Tumorzellen, aber nicht in anderen Körperregionen. Meist werden monoklonale Antikörper verwendet, die sich an die Tumorzellen anheften. Gemeinsam ist den verschiedenen Arten von Verabreichungssystemen, dass eine verbesserte oder gezieltere Aufnahme die Wirkstoffmenge und unerwünschte Nebenwirkungen deutlich reduzieren könnte [1].
Der gesellschaftliche Nutzen von Drug-Delivery-Systemen wird vor allem in einer verbesserten medizinischen Heilung und einer gesteigerten Lebensqualität der Patienten gesehen [11]. Weitere Nutzenaspekte sind die mögliche Senkung der Gesundheitskosten und die erwartete positive wirtschaftliche Entwicklung. Verschiedene Versuche, diese Vorteile zu quantifizieren, sind unten zusammengefasst.
An erster Stelle stehen Ansätze zur Krebsbehandlung. Krebs ist mit etwa 7,6 Millionen Todesfällen im Jahr 2005 weltweit eine der häufigsten Todesursachen. In den Industrienationen ist Krebs die zweithäufigste Todesursache. Die WHO prognostiziert, dass die krebsbedingten Todesfälle im Jahr 2015 auf 9 Millionen und bis 2030 auf 11,4 Millionen ansteigen werden [32]. Jeder therapeutische Fortschritt könnte Heilungen oder Zeitverzögerungen für Millionen von Betroffenen und ihre Familien bedeuten, und die größere Effizienz von Behandlungsmethoden könnte möglicherweise zu einer Senkung der Gesundheitskosten führen.
In dem 2004 für das Bundesministerium für Bildung und Forschung verfassten Forschungsbericht „Nanotechnologie pro Gesundheit: Chancen und Risiken“ [3] berufen sich die Autoren auf amerikanische Studien [14], die am Beispiel von Viruskarzinomen mögliche Berechnungen anstellten Kostensenkungen durch den Einsatz von Nanomaterialien, da die geringeren Nebenwirkungen weniger Nachbehandlungen erforderten. Dies galt insbesondere für ältere Patientinnen mit einer höheren Anfälligkeit für Nebenwirkungen. Allerdings rät die BMBF-Studie dazu, die Schätzungen der volkswirtschaftlichen Einsparpotenziale aufgrund der schlechten Vergleichbarkeit der verschiedenen internationalen Behandlungsmethoden und Gesundheitssysteme sowie möglicher Preisentwicklungen von Medikamenten und Verfahren mit Vorsicht zu genießen [3].
Insgesamt sind unerwünschte Nebenwirkungen ein ernstes Problem. In den USA waren sie beispielsweise für schätzungsweise 100.000 Todesfälle innerhalb eines Jahres verantwortlich und damit die zehnthäufigste Todesursache [33].
Die meisten quantitativen Schätzungen der Vorteile von Nanomaterialien in der pharmazeutischen Industrie beziehen sich auf Prognosen zum Marktwachstum. Sie prognostizieren für den Zeitraum von 2005 bis 2012 ein Wachstum von etwa 50 % pro Jahr. Gleichzeitig wird ein stetig steigender Anteil der Nanotechnologie am gesamten Pharmamarkt prognostiziert. Die Prognose eines Marktvolumens von 4,8 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012 zeigt die optimistische Einschätzung des Marktpotenzials der Nanotechnologie in diesem Bereich [23]. Offen bliebe dann die Frage, ob die hohen Wachstumszahlen mit hohen Medikamentenpreisen einhergehen, die einen Teil der Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen zunichte machen würden.
Eine generelle Risikobewertung von Nano-Delivery-Systemen ist angesichts der oben skizzierten Vielzahl von Anwendungen und eingesetzten Materialien nicht möglich. Aussagen zur Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit von Nanomaterialien in diesem Anwendungsbereich sollten immer auf den Einzelfall bezogen sein. Dabei sind nicht nur die verwendeten Formen der Nanomaterialien, sondern auch deren mögliche Bindungs- oder Abbauprozesse (Agglomeration und Desagglomeration) zu berücksichtigen [4].
Beim Einsatz im medizinischen Bereich gelten spezifische Sicherheitsprüfungen, bevor ein Produkt zugelassen wird. Dies gilt selbstverständlich auch für Produkte, die Nanomaterialien als Wirk- oder Hilfsstoff enthalten, oder für Medizinprodukte. Unter Wirkstoffen versteht man natürliche oder synthetisch hergestellte chemische Elemente, deren Verbindungen sowie Mischungen oder Lösungen, die eine pharmakologische Wirkung entfalten. Sie müssen in präklinischen Studien daraufhin untersucht werden, ob sie langfristig toxisch auf Tiere oder Menschen wirken (akute und chronische Toxizität), ob sie Krebs erzeugen (Kanzerogenität), das Erbgut beeinflussen (Mutagenität) oder negative Auswirkungen auf das ungeborene Kind haben (Teratogenität). In der Regel ist eine zusätzliche Risikobewertung für Umweltauswirkungen erforderlich. Hilfsstoffe hingegen bezeichnen Stoffe, die notwendig sind, um dem Medikament eine bestimmte Form zu geben, es haltbar zu machen, es zu aromatisieren, zu färben oder es anderweitig hinsichtlich seiner Anwendung zu verbessern. Als Beispiele für Hilfsstoffe nennt der Pharmaverband Interpharma Stärke, Zucker, Gelatine, Fette, Öle, Wasser und Alkohole [20].
Nanomaterialien können je nach Anwendungskontext sowohl unter Wirkstoffe als auch Hilfsstoffe fallen, wenn sie nur als Transportsystem verwendet werden. Das Arzneimittelgesetz (AMG; 14. AMG-Novelle) und die Verordnung über die Anwendung guter klinischer Praxis bei der Durchführung klinischer Prüfungen von Humanarzneimitteln (GCP-Verordnung) legen genau fest, in welchem Umfang Unbedenklichkeitsprüfungen durchgeführt werden müssen Wirkstoffe und Hilfsstoffe. Dies betrifft die Konsultationsverfahren und klinischen Prüfungen vor der Zulassung, die Zulassungsverfahren selbst sowie die laufende Überwachung und Berichterstattung (Pharmakovigilanz) nach der Zulassung, die das Auftreten von Nebenwirkungen dokumentiert. In die Begutachtungsverfahren zur Genehmigung einbezogen sind Konsultationen von Ethikkommissionen, die klinische Prüfungen genehmigen müssen.
Derzeit wird in Fachkreisen diskutiert, inwieweit Nanomaterialien als Transportsysteme durch Zulassungsverfahren für Hilfsstoffe ausreichend geprüft werden. Seit 2002 gilt jedoch der Zulassungsbescheid nach § 21 Arzneimittelgesetz, der Angaben zur Bioverfügbarkeit und Bioäquivalenz von Arzneimitteln verlangt. Die verbesserte Bioverfügbarkeit durch die Verwendung von Nanomaterialien in Hilfsstoffen muss daher bei Neuzulassungen angegeben werden, auch wenn bestehende Formulierungen modifiziert werden.
In den verschiedenen wissenschaftlichen Abhandlungen zu Drug-Delivery-Systemen finden sich meist ausführliche Beschreibungen von Funktionen und Nutzen, aber nur wenige Hinweise auf mögliche Risikopotentiale. Es wird zwischen abbaubaren und nicht abbaubaren Abgabesystemen unterschieden. Die Mehrheit der Experten geht davon aus, dass abbaubare Nanotransportsysteme wie die oben beschriebenen Fett-, Protein- oder Zuckerverbindungen vom Körper genauso verarbeitet werden wie größere Verbindungen und kein nanospezifisches Risiko darstellen [7]. Im Mittelpunkt der geäußerten Bedenken stehen mögliche Überdosierungen und Verschleppungseffekte von toxischen Stoffen aus der Umwelt, die mit den Drug-Delivery-Systemen quasi im Huckepack-Prinzip in den Organismus gelangen könnten. Dies sind jedoch alles Fragen, die empirisch beantwortet werden müssen und nur indirekt von ethischer Relevanz sind.
Als weitaus problematischer werden nicht abbaubare (persistente) Nanomaterialien bewertet. Verschiedene Studien zeigen negative gesundheitliche Auswirkungen z.B. für Fullerene [26] und Kohlenstoffnanoröhren, die ihren Einsatz für Transportsysteme in der Medizin nicht empfehlen [34]. Neuere Studien zu Nanoröhren weisen jedoch wiederum darauf hin, dass eine Risikobewertung stark von der gewählten Form und Anwendung abhängt und nur im Einzelfall erfolgen kann. Auch bei nicht abbaubaren, persistenten Nanomaterialien stellen sich Fragen zu Umweltrisiken – selbst wenn sie für den Menschen ungefährlich sein sollten. Dabei ist zu untersuchen, wie sie sich nach der Ausscheidung in die Umwelt verhalten, d.h. welche Auswirkungen sie auf Wasser, Boden und Luft haben können. Allerdings steckt die Forschung auf diesem Gebiet noch in den Kinderschuhen.
Nanotransportsysteme in der Medizin ergeben sich verschiedene ethische und soziale Fragen . Generell gelten Anwendungen in der Medizin als Sonderfall in der gesellschaftlichen Risikobewertung von Nanomaterialien. Die Kernfrage, wie viel Risiko eine Gesellschaft beim Einsatz neuer Technologien angesichts noch bestehender Wissenslücken einzugehen bereit ist, wird in der Medizin sehr individuell betrachtet [17]. Dabei werden die Gesundheit des Einzelnen und der potenzielle Nutzen durch den Einsatz von Nanomaterialien gegen die individuellen Risiken von Nebenwirkungen abgewogen. Je nach Schwere der Erkrankung und vorangegangenem Therapieversagen ist die Risikobereitschaft sehr hoch, wenn eine Therapie mit Nanomaterialien als erfolgsversprechende Methode oder „letzter Ausweg“ angesehen wird. Dies gilt sicherlich insbesondere für Krebstherapien, aber im weiteren Sinne auch für die anderen Anwendungen, bei denen Nanomaterialien die Wirksamkeit von Medikamenten erhöhen und Nebenwirkungen reduzieren.
Besonderes Augenmerk legen Ethiker auf die Überwindung der Blut-Hirn-Schranke und die daraus resultierenden potenziellen Anwendungsfelder [21, 15]. Die Möglichkeit, die Gehirnleistung bei Alzheimer positiv zu beeinflussen, könnte zur Leistungssteigerung bei Gesunden genutzt werden. Ein wichtiges Thema der ethischen Debatte ist daher die Möglichkeit des Missbrauchs dieser Anwendung zur nicht therapeutisch indizierten Verbesserung des Menschen (Human Enhancement) durch Medikamente. Die EU schließt in ihrem Verhaltenskodex die Forschung an Verfahren oder Materialien zur Verbesserung gesunder Menschen aus und macht die Reflexion ethischer und sozialer Aspekte von Forschungsprojekten für alle EU-Projekte verbindlich [12].
Auch im Zusammenhang mit militärischen Anwendungen wird die Missbrauchsproblematik angesprochen. Dabei geht es vor allem um die Medikation von Soldaten zur Konzentrationssteigerung oder zur Daueranwendung ohne Schlafbedürfnis sowie im weiteren Sinne um den Einsatz von Nano-Delivery-Systemen bei der Entwicklung biologischer Kampfstoffe [15]. Problematisch an der Debatte um die militärische Nutzung oder den Missbrauch von Nanomaterialien ist, dass sie aufgrund der Geheimhaltung der eigentlichen Projekte überwiegend im Bereich der Spekulation bleibt.
Neben der individuellen Risikobewertung und den Möglichkeiten des Missbrauchs ist die entscheidende Frage für Nano-Transportsysteme der mögliche Eintrag in die Umwelt. Umweltorganisationen und Ethiker beschäftigen sich gleichermaßen mit den offenen Fragen der Risikobewertung für die Umwelt [29]. Dies betrifft Forschung, Produktion und Entsorgung der Produkte sowie einen möglichen Eintrag in die Umwelt durch menschliche oder tierische Ausscheidungen. Da derzeit keine Langzeitstudien zum Einsatz von Nanomaterialien in der Medizin vorliegen, ist es schwierig, mögliche Gefahren abzuschätzen. Bis zum Vorliegen belastbarer Erkenntnisse gilt sowohl in der pharmazeutischen als auch in der chemischen Industrie der Grundsatz, den Kontakt zwischen Mensch und Umwelt mit Nanomaterialien über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg zu vermeiden. Besonderes Augenmerk wird auf die Verwendung von nicht abbaubaren kohlenstoffbasierten Nanomaterialien (Fullerene und Carbon Nanotubes) gelegt. Ethiker plädieren daher für einen verantwortungsvollen Umgang mit Nanomaterialien und setzen auf eine kritische Auseinandersetzung mit notwendigen Zulassungskriterien [15].
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In der Trainingseinheit 6.2 zu den „rechtlichen Aspekten“ molekulargenetischer Covid-19-Strategien werden wir dann sehen, wie einige der ethischen Fragen von der Gesetzgebung verschiedener Staaten sowie von der EU angegangen werden.
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1 Dass die Nanotechnologie immer noch weitgehend im Schatten stattfindet, ist durchaus kritisch zu sehen: Denn obwohl Nanomaterialien nicht selten Bestandteil marktfähiger Produkte sind, muss der Hersteller bisher fast nirgendwo Auskunft geben (im Gegensatz z Meldepflicht bei Zusatzstoffen in Lebensmitteln). Wünschenswert wäre daher eine Kennzeichnungspflicht, wie sie innerhalb der EU für Produkte mit gentechnisch veränderten Inhaltsstoffen gilt, beispielsweise für Nanopartikel enthaltende Kosmetika und Textilien [9].
2 Das Anwendungspotenzial von RNA-Vakzinen ist enorm: Künftig könnten damit zum Beispiel hartnäckige Krankheiten wie Tuberkulose, Aids und Malaria wirksam bekämpft werden; sowie die jährliche Grippeimpfung deutlich zu verbessern [10].
3 Manche Hoffnungen gehen dabei sehr weit: Molekulare Maschinen, die in den Körper eingebracht werden, können eines Tages autonom Diagnosen stellen und dann Maßnahmen ergreifen, um zum Beispiel erkannte Ablagerungen in den Arterien zu entfernen oder geschädigtes Gewebe gezielt zu rekonstruieren. Doch gerade solche Vorstellungen von einsatzfähigen „Nanorobotern“ machen vielen Menschen Angst. Was würde passieren, wenn diese Roboter außer Kontrolle geraten würden? Könnten sie dann wieder deaktiviert oder aus ihrem eigenen Körper „abgerufen“ werden? Hier besteht offensichtlich ein erhebliches Vertrauensdefizit.
4 Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die relativ einfach herzustellenden mRNA-Wirkstoffe auch dazu beitragen könnten, seltenen (und oft erblichen) Krankheiten, den sogenannten „Orphan Diseases“, Heilungsmöglichkeiten zu eröffnen. Gerade diese Krankheiten finden in der Pharmaindustrie oft wenig Beachtung, da ihre Bekämpfung kaum rentabel ist.
5 So wurde kürzlich ein Bluttest für werdende Mütter entwickelt, der mit Hilfe „freier“ RNA das Risiko einer gefährlichen Schwangerschaftskomplikation (der „Präeklampsie“) frühzeitig bestimmen lässt.
6 Aber eine Impfempfehlung für Kinder (etwa im Alter von 6 bis 11 Jahren) kann natürlich schon ausgesprochen werden: und das gilt besonders für Kinder, die Kontakt zu gefährdeten älteren Erwachsenen haben. Denn welches Kind will schon seine Großeltern gefährden? Die Entscheidung zur Impfung liegt aber letztlich immer bei den Eltern mit elterlicher Sorge.
7 Beispielsweise treten beim Moderna- Impfstoff gelegentlich Anfälle von Müdigkeit, Fieber und Muskelschmerzen auf.
8 Dabei ist nicht entscheidend, dass die Impfung gegen Corona nicht in der Lage ist, absolut zu schützen ( dh eine langfristige Immunität zu gewährleisten): Es genügt der Nachweis, dass die Impfung im Falle einer Infektion die Krankheitssymptome deutlich abschwächen kann.
9 Dabei ist es äußerst hilfreich, dass RNA-Impfstoffe sehr schnell entwickelt und modifiziert werden können. Wie Ron Renaud, CEO der Firma Translate Bio , sagte: „Man kann die Sequenz fast im Handumdrehen ändern und an die aktuell zirkulierenden Erregerstämme anpassen“ (zitiert nach Dolgin, 2021 [10])
10 Bemerkenswert ist allerdings, dass ausgerechnet in Wuhan ein Labor beheimatet ist, das über die weltweit größte Sammlung von Coronaviren verfügt [5].
11 Auf die Bezüge der Coronavirus-Forschung zur „Synthetischen Biologie“ und zur sogenannten „Gain-of-Function“ (GoF)-Forschung, bei der ein Organismus mit neuen Fähigkeiten ausgestattet wird, soll hier nicht näher eingegangen werden. Bemerkenswert ist jedoch, dass ein Forscherteam um den Biologen Ralph Baric 2015 ein künstliches Coronavirus herstellte, indem es Spike-Proteine eines Fledermaus-Erregers mit einem Sars- CoV – Derivat kombinierte: Solche konstruktiven Forschungsprojekte sind nicht harmlos, solange keine absolute Gewissheit besteht dass die veränderten Organismen nicht in die Umwelt gelangen und dort vielleicht eine Pandemie auslösen können. Andererseits können GoF- Experimente auch dazu beitragen, weit verbreitete Epidemien zu verhindern, indem sie zeigen, welche Modifikationen eines potenziellen Erregers gefährlich werden könnten. Laut der deutschen GoF – Expertin Silke Stertz „profitieren wir in der aktuellen Pandemie auch davon, dass sich Forscher seit Jahrzehnten mit Sars- CoV und anderen Coronaviren beschäftigen und nach Möglichkeiten suchen, sich dagegen zu impfen“ (zitiert nach Spektrum der Wissenschaft, 2022 [27]).
12 Die Bedeutung dieser Lipid-Nanopartikel sollte nicht unterschätzt werden. Wie es der norwegische Experte Nick Jackson ausdrückte: „Lipid Nanoparticles have endlich erlaubt, dass RNA-Moleküle gegen ein breites Spektrum von Krankheiten eingesetzt werden können“ (zitiert nach Dolgin, 2021 [10])
13 Künftig sollen beispielsweise mRNA-basierte Krebstherapien gezielt Signale und Signalwege blockieren, indem sogenannte „kleine Moleküle“ auf der Oberfläche von Tumorzellen als Rezeptorblocker wirksam werden. Vorteilhaft wäre hier, dass die Sequenz der mRNA leicht individuell angepasst werden könnte [28].
Test LO 6.1
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